Back to the future – Chorgesang durch die Jahrhunderte: Von antiken Hymnen und rituellen Gesängen bis hin zu digitalen Chorproben

Für mich ist einer der magischsten Momente in der Welt der Musik, wenn einzelne Stimmen zusammenkommen, um in Harmonie zu singen. Diese Momentaufnahme, tausendfach multipliziert, bestätigt die Macht und Schönheit des Chorgesangs – nicht nur für mich und auch nicht erst seit heute. Habt ihr Euch auch schon gefragt, wie sich die Kunstform des gemeinsamen Singens entwickelt hat und worin ihre fortwährende Faszination liegt? Im heutigen Blog möchte ich genau auf diese Frage eingehen und lade euch ein, mit mir eine musikalische Reise durch die Jahrhunderte zu unternehmen.


Ursprünge und Entwicklung

Chorgesang geht weit zurück auf die Wurzeln musikalischer Ausdrucksformen der Menschheit und bildet ein Fundament der musikalischen Kunst. Einer der frühesten Belege dafür, ist ein 40'000 Jahre altes Knochenflötefragment, welches in Deutschland gefunden wurde. Auch wenn dieses alte Instrument für einen Solisten gedacht war, ist es wahrscheinlich, dass das gemeinsame Singen - der Chorgesang - zeitgleich oder sogar noch früher seinen Anfang genommen haben muss.

Menschen verschiedenster Kulturen, ob im alten China, Mesopotamien oder die indigenen Völker Amerikas, haben das gemeinsame Singen in ihre religiösen und sozialen Bräuche und Praktiken eingebunden. Sie erkannten die Macht der Musik, Menschen zusammenzubringen, Gefühle auszudrücken und komplizierte Geschichten oder wichtige Botschaften zu vermitteln. Wie im Blog "Warum gemeinsames Singen besser ist als alleine" schon erwähnt, finden wir diese ursprüngliche Form des Zusammenseins noch in der heutigen Gesellschaft… das Fussballstadion sein hier nur beispielhaft erwähnt.

Der Chorgesang in der Antike: Gemeinschaft und Spiritualität

In den grossen Zivilisationen des Alten Ägyptens, des antiken Griechenlands und des Römischen Reiches, wurde der Chorgesang zum integralen Bestandteil des öffentlichen und religiösen Lebens. Die antiken Griechen nutzten den Chorgesang auch, um kollektive Emotionen zu erzeugen: sei es bei grossen öffentlichen Veranstaltungen oder bei privateren Anlässen. Diese konnten von tiefer Andacht bis hin zu überschwänglicher Freude reichen. Das gemeinsame Singen war weit mehr als reine Unterhaltung – es war ein machtvolles Werkzeug, um menschliche Beziehungen – zum Beispiel bei den ersten demokratischen Prozessen – zu stärken. Zudem wurde der Chorgesang auch als Mittel eingesetzt, spirituelle Verbindungen zu Göttern und dem Übernatürlichen auszudrücken. Ähnlich in der Römischen Kultur, die sich bekanntlich stark von den griechischen Bräuchen inspirieren liessen, war das gemeinsame Singen ein wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen, religiösen und sogar kriegerischen Bräuche.

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Griechisches Theater mit Chorsängern

Die Renaissance des Chorgesangs: Gregorianischer Choral und Barock

Auch während des Mittelalters war der Chorgesang eine zentrale Form der Anbetung und Preisen Gottes. Die Mönche und Nonnen dieser Zeit haben mithilfe ihrer Chorgesänge die Praktiken ihrer Klöster erfüllt und dabei die Grundlage für die westliche Musikgeschichte gelegt.

Die Komplexität der gregorianischen Melodien und Harmonien zeigte in der Musik des Mittelalters eine bedeutende künstlerische und kulturelle Entwicklung. Die Entwicklung der musikalischen Notation während dieser Zeit ermöglichte die Schaffung komplexer Melodien und Harmonien, welche die musikalische Landschaft dieser Zeit massgeblich beeinflussten.

Die Komponisten der Renaissance und des Barocks, wie Palestrina und Bach, erkannten die Wirkung und Schönheit von mehrstimmigen Kompositionen. Sie kreierten Chorwerke von bis dato unübertroffener Tiefe und Komplexität, die das Publikum emotional und intellektuell herausforderten.


Illustration in einem gregorianischen Gesangsbuch

Chorgesang im Industriezeitalter: Vielfalt und Popularität

Mit der Industrialisierung und der Entwicklung von modernen Aufnahmetechnologien im 20. Jahrhundert wurde der Chorgesang noch populärer und zugänglicher. Die Radio- und Fernsehübertragungen ermöglichten es, Chormusik einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Hierdurch entstand eine neue Welle der Begeisterung für den Chorgesang und eine breitere Akzeptanz unterschiedlicher musikalischer Stilrichtungen.

Chöre, die sich auf Gospel, Jazz oder Popmusik spezialisierten, nahmen neben den traditionellen klassischen und kirchlichen Chorgemeinschaften Einzug in die musikalische Landschaft. Die Vielfalt des Chorgesangs in dieser Zeit zeigte, dass er weit mehr als nur eine Form der religiösen Anbetung oder der klassischen Musik war. Den grossen Chören des 20. und 21. Jahrhunderts werde ich mit Bestimmtheit sogar mal einen eigenen Blog widmen.

Chöre in einer digitalisierten Welt: Gemeinschaft und Innovation

In der modernen Welt haben Chöre eine bedeutsame Rolle in Kultur und Gesellschaft eingenommen. Sie tragen enorm dazu bei, Gemeinschaften zusammenzubringen und den sozialen Zusammenhalt zu festigen. Dies spiegelt den ursprünglichen Geist des Chorgesangs aus der Antike wider, wo das gemeinsame Singen als Methode zur Stärkung der Gemeinschaft und des Zusammenhalts genutzt wurde.

Mit der Digitalisierung haben Chöre neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und zum Austausch gefunden. Sie nutzen Technologien, um Proben und Aufführungen online zu organisieren. Dies ermöglicht eine kontinuierliche kreative Zusammenarbeit und den Austausch von Ideen und Methoden, selbst in Zeiten der sozialen Distanzierung. 

Chorprojekt während dem ersten COVID-19 Lockdown (Unser-Lockdown-Lied)

Schlussbemerkungen: Die Zukunft des Chorgesangs

Chorgesang spielt also seit jeher eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft. Man kann sogar sagen, dass wir jeden Dienstagabend einem ur-menschlichen Bedürfnis nachgehen. Als Ausdruck gemeinsamen Handelns und Fühlens verliert das gemeinsame Singen auch in unserer modernen Zeit nichts von seiner Anziehungskraft. Ganz im Gegenteil, die

Digitalisierung und die wachsende globale Vernetzung scheinen dem Chorgesang noch mehr Möglichkeiten zu bieten. Wie immer auch die Zukunft aussehen mag, der menschliche Wunsch und die Notwendigkeit, zusammenzukommen und gemeinsam zu singen, wird wohl nie verschwinden. Das zeigt z.B. die Anzahl der registrierten Chöre in der Schweiz: Mit knapp 1'200 offiziellen Chören gibt es fast so viele Chöre wie Fussballvereine – die ganzen Schulchöre (wie z.B. uns) nicht mal eingeschlossen. Tendenz wachsend…